INGRID LAVEE

GENESIS.TXT

 

 


1. Am Anfang war der Vater unbekannt.
2. Doch der Geist des Menschen erwachte und er erkannte, dass der Geschlechtsakt der Zeugung diente.
3. Solange er jedoch wie die Tiere lebte, maß er dem keine Bedeutung zu. Er zeugte Kinder wahllos und das Rudel ernährte und kleidete sie, bis sie alt genug waren, selbst Kinder zu zeugen und zu gebären.
4. Als es den Menschen nicht mehr genug war von der Jagd und gesammelten Früchten zu leben, als sie begannen Tiere zu halten und Land zu roden und Felder zu bestellen und das so Erworbene ihr Eigentum nannten, wurde es wichtig für sie zu wissen, wer ihre Söhne und Töchter waren, denn nur ihnen wollten sie es vererben.
5. Da unterwarfen die Männer sich die Frauen und machten sie zu ihrem Besitz und die Söhne und Töchter zum Besitz ihrer Väter.
6. Und es wurde mündlich überliefert, wer wessen Sohn war; es wurde der Name des Vaters dem des Sohnes angefügt.
7. Und als die Kunst des Schreibens erfunden war, wurden Genealogien schriftlich festgehalten.
8. Doch es geschahen Erdbeben und große Brände und Überschwemmungen und Katastrophen; die Völker begannen vernichtende Kriege gegeneinander zu führen.
9. Dabei gingen viele ihrer Ahnentafeln für immer verloren und nur wenige wissen bis heute die Namen und Taten ihrer Vorväter mehr als einige Generationen zurück.
2. So ist der Vater des Franz, der im Jahr der Revolution 1848 im Lande Mähren geboren wurde, unbekannt und vergessen.
2. Franz wurde Taglöhner, zog in die Kaiserstadt, war neunundzwanzig Jahre alt und zeugte Franz.
3. Franz, der Sohn des Taglöhners, wurde Eisenformer. Er zeugte einen Sohn und zwei Töchter und war dreiunddreißig Jahre alt und zeugte Wilhelm.
4. Danach lebte er sechsunddreißig Jahre und zog in den ersten großen Krieg. Die Kanonen waren laut und er wurde taub. Er fand keine Arbeit mehr und war auf die Güte seiner Kinder angewiesen.
5. Wilhelm wurde Beamter, war siebenundzwanzig Jahre alt und zeugte eine Tochter. Danach lebte er sechzehn Monate. Er zog in den zweiten großen Krieg und starb.
3. Zur Zeit Franz´ des Taglöhners zeugte ein Bauer in Göpfritz den Ignaz.
2. Der zog in die Kaiserstadt und wurde Kranführer und zeugte drei Töchter.
3. Und seine zweite Tochter war die Frau des Wilhelm.
4. Während diese also lebten und Söhne und Töchter zeugten und starben, zeugte Franz, ein Bäcker, einen Sohn, den nannte er Stefan Alois Philomen, und lebte einige Jahre und zeugte eine Tochter.
2. Stefan Alois Philomen wurde Kadett beim Bundesheer. Er war einundzwanzig Jahre alt und zeugte Stefan.
3. Danach lebte er sechs Jahre und zeugte einen Sohn.
4. Er zog in den zweiten großen Krieg und kam nach Woronesch in Russland und wurde von einem Panzer überrollt und starb.
5. Zu der Zeit des Franz, der ein Bäcker war, zeugte Franz, ein Bauer in Mühlfeld, den Alois.
2. Alois wurde Lagerleiter bei Julius Meinl und war dreißig Jahre alt und zeugte eine Tochter.
3. Und lebte danach fünfzig Jahre und zeugte einen Sohn, dass sein ganzes Alter ward achtzig Jahre, und starb.
4. Seine Frau war betrunken und gab ihm das Essen des Hundes zu Mittag.
5. Und seine Tochter war die Frau des Stefan Alois Philomen.
6. Während diese also lebten und Söhne und Töchter zeugten und starben, zeugte Moritz, ein Kaufmann im Königreich Ungarn, den Alexander.
2. Danach lebte er viele Jahre und zeugte fünf Söhne und Töchter.
3. Alexander zog in den ersten großen Krieg und wurde am Fuß verletzt und als Invalide entlassen.
4. Darauf zog er in die Kaiserstadt; dort wurde er Kaufmann.
5. Und Alexander war neunundzwanzig Jahre alt und zeugte Klemens.
6. Und lebte danach einundfünfzig Jahre und zeugte zwei Söhne, dass sein ganzes Alter ward achtzig Jahre, und starb.
7. Und er musste sein Land verlassen mit seinen Söhnen und um sein Leben fliehen. Seine Frau blieb zurück und wurde ermordet.
8. Und er wurde ein armer Mann und sein Geschäft trug er in einem Bauchladen vor sich her.
9. Nach vielen Jahren kehrte er zurück in seine Heimat.
10. Und die dereinst seine Wäscherin gewesen war, gab ihm Unterkunft und das Land gab ihm eine kleine Rente, auf dass er nicht betteln musste für seinen für seinen Lebensunterhalt.
11. Klemens wurde Beamter. Er sah, dass die Welt schlecht war und zeugte keine Kinder.
7. Und die Tochter des Wilhelm bekam einen Stiefvater, der hieß Friedrich und war ein übler Geselle. Er schlug sie und stellte ihr nach.
2. Also nahm sich die Tochter des Wilhelm den Stefan zum Mann, als sie sechzehn Jahre alt geworden war, dass er sie hinaus führe aus dem Haus ihres Stiefvaters.
3. Stefan war neunzehn Jahre alt und zeugte Rupert.
4. Und weil er sie schlug wie ihr Stiefvater verließ die Tochter des Wilhelm den Stefan und nahm ihren Sohn mit sich.
5. Und Stefan hörte auf zu arbeiten, um für seinen Sohn keinen Unterhalt zahlen zu müssen.
6. Danach nahm er sich eine andere Frau und zeugte eine Tochter.
7. Und die Frau verließ ihn und ließ seine Tochter bei ihm, denn sie war wie er.
8. Danach nahm er sich eine dritte Frau und zeugte einen Sohn.
8. Klemens aber, der Sohn des Alexander, nahm die Tochter Wilhelms zu seiner Frau und ward ein guter Vater dem Rupert.
2. Rupert wurde Krankenpfleger und nahm sich die Frau, die er liebte.
3. Und er sah wie seine Väter vor ihm gelebt haben und gestorben sind.
4. Und er wollte nicht sein wie einer von ihnen und wollte sein wie Klemens, der gut zu ihm war.
5. Rupert zeugte keine Kinder.