Als
Anna ihrem Mann Walter die Tür geöffnet hatte, wurde sie beinahe
vom Schlag getroffen. Er stand mit zwei ein Meter großen, aus Lindenholz
geschnitzten und gräßlich süß bemalten Engeln vor
der Tür.
" Das also ist die Erbschaft von Tante Anna!" Hatte sie entgeistert
kommentiert. Er war darüber nicht traurig gewesen. Im Gegenteil.
Er hatte große Freude mit den beiden Prachtexemlaren gehabt. Anna
war bleich geworden. Es hatte sich in der Wohnung kein geeigneter Platz
für diese beiden Kitschungeheuer gefunden. Schließlich waren
sie im Schlafzimmer gelandet und bewachten fünfundzwanzig Jahre lang
als schweigende Mahnmale eines Irrtums das Ehebett. Sie gehörten
schon zur Familie. Immer wenn Anna sich auszog, verwendete sie ihre schicken
Dessous als Augenbinden für die beiden Himmelsboten. "Sie haben
so einen durchdringenden Blick", erklärte sie.
Die beiden Engel wurden mit dem Verblassen der schrecklichen raffaelitischen
Farben und der aufkommenden Patina äußerst interessant und
attraktiv, geradezu sinnlich. Anna war irritiert. Vor allem dann, wenn
ihr lieber Walter mit Glatze, faltigem Hinterteil und Hängebauch
nach seinen Socken suchte. In solchen Situationen könnte sie schwören,
daß einer der Engel, nämlich Sariel, ihr manchmal, wenn ihm
die Augenbinde verrutscht war, zuzwinkerte.
Eines Tages, als sie Sariel wieder ihr Mieder über die Augen legte,
erwachte dieser zu Leben und warmer Körperlichkeit. Er nahm sie einfach
in die Arme und glitt mit ihr unter die weiche Daunendecke. Wie himmlisch,
von einem Engel geliebt zu werden! Kein Mann auf Erden konnte zärtlicher
sein als er. Prickelnd lief es ihr über den Rücken, wenn sie
daran dachte, daß er fünfundzwanzig Jahre lang die erotischen
Momente ihrer Ehe miterlebt hatte.
Welch vielversprechende Veränderung. Sie macht sich hübsch.
Walter verschwendet wieder keinen Blick für sie. Bei Anna kommt keine
Traurigkeit wie früher auf. Sie lächelt ihrem Engel zu und weiß,
er wartet geduldig auf die nächste Gelegenheit, um mit ihr in das
Paradies zu fallen.
Seit Kurzem glaubt Anna sich nicht zu täuschen, daß auch der
zweite Engel ihr manchmal lustvoll bebend zublinzelt.
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