JOSEFA MAYER-PROIDL

HIMMLISCHE FREUDEN

 

Als Anna ihrem Mann Walter die Tür geöffnet hatte, wurde sie beinahe vom Schlag getroffen. Er stand mit zwei ein Meter großen, aus Lindenholz geschnitzten und gräßlich süß bemalten Engeln vor der Tür.
" Das also ist die Erbschaft von Tante Anna!" Hatte sie entgeistert kommentiert. Er war darüber nicht traurig gewesen. Im Gegenteil. Er hatte große Freude mit den beiden Prachtexemlaren gehabt. Anna war bleich geworden. Es hatte sich in der Wohnung kein geeigneter Platz für diese beiden Kitschungeheuer gefunden. Schließlich waren sie im Schlafzimmer gelandet und bewachten fünfundzwanzig Jahre lang als schweigende Mahnmale eines Irrtums das Ehebett. Sie gehörten schon zur Familie. Immer wenn Anna sich auszog, verwendete sie ihre schicken Dessous als Augenbinden für die beiden Himmelsboten. "Sie haben so einen durchdringenden Blick", erklärte sie.
Die beiden Engel wurden mit dem Verblassen der schrecklichen raffaelitischen Farben und der aufkommenden Patina äußerst interessant und attraktiv, geradezu sinnlich. Anna war irritiert. Vor allem dann, wenn ihr lieber Walter mit Glatze, faltigem Hinterteil und Hängebauch nach seinen Socken suchte. In solchen Situationen könnte sie schwören, daß einer der Engel, nämlich Sariel, ihr manchmal, wenn ihm die Augenbinde verrutscht war, zuzwinkerte.
Eines Tages, als sie Sariel wieder ihr Mieder über die Augen legte, erwachte dieser zu Leben und warmer Körperlichkeit. Er nahm sie einfach in die Arme und glitt mit ihr unter die weiche Daunendecke. Wie himmlisch, von einem Engel geliebt zu werden! Kein Mann auf Erden konnte zärtlicher sein als er. Prickelnd lief es ihr über den Rücken, wenn sie daran dachte, daß er fünfundzwanzig Jahre lang die erotischen Momente ihrer Ehe miterlebt hatte.
Welch vielversprechende Veränderung. Sie macht sich hübsch. Walter verschwendet wieder keinen Blick für sie. Bei Anna kommt keine Traurigkeit wie früher auf. Sie lächelt ihrem Engel zu und weiß, er wartet geduldig auf die nächste Gelegenheit, um mit ihr in das Paradies zu fallen.
Seit Kurzem glaubt Anna sich nicht zu täuschen, daß auch der zweite Engel ihr manchmal lustvoll bebend zublinzelt.