Auszug aus
meinem Debütroman, der im Herbst 2013 bei Deuticke erscheint
Der Sommer saugt alles aus, er nuckelt an den Blättern und Flüssen
und zieht die Körperflüssigkeiten aus den Leibern. Die Straßenbahnen
stinken nach Touristenschweiß und die Autos nach feuchten Managerhemden
und frischer Kinderkotze. Auch am Donaukanal riecht es, nach totem Fisch
und verfaultem Laub. Nur in Sonjas Wohnung ist es dank der neuen Klimaanlage
schön kühl, doch dort will Jakob nicht mehr hinein. Lieber liegt
er in Maries Achselhöhle und leckt ihr den letzten Tropfen Schweiß
vom Körper. So bekommt er nicht mit, wie Sonja anruft und auf seine
Mobilbox kreischt, was das soll, ob er jetzt komplett durchgeknallt sei,
ihr einfach so den Schlüssel auf den Küchentisch zu legen, ein
feines Arschloch sei er! Aber so ist das Leben nun einmal. Während
unter Maries Fenster die Bauarbeiter ins Innerste Wiens vordringen, dringt
Jakob ins Innerste Maries vor, und während Sonja die Tränen
herunter rinnen, rinnen Jakob die Schweißperlen herunter, bis am
Schluss beide ganz dehydriert sind. Was ist aus der großen Liebe
geworden? Das gemeinsame Bett gibt es nicht mehr, auch den gemeinsamen
Kühlschrank nicht, Sonja trinkt Mineralwasser in ihrer sanierten
Altbauwohnung, Jakob trinkt Mineralwasser in Maries Garconniere, und als
beide über ihre Lippen lecken, schmecken sie salzig, Jakobs Lippen
vom Marieschweiß und Sonjas Lippen von den Liebeskummertränen.
Die große Liebe ist austauschbar, wie alles im Leben.
Auch Konsalik-Heftchen
sind austauschbar – jede Woche eine neue Ausgabe, ein neues Schicksal,
eine neue große Liebe. Deswegen geht die zweiundachtzigjährige
Hedi Brunner zur Trafik. Alte Frauen haben zwei dumme Eigenschaften, sie
lesen zu viel Konsalik und trinken zu wenig Mineralwasser – Angewohnheiten,
die im Sommer das Leben kosten können.
Jakobs Großmutter hat Glück, der Trafikant ruft die Rettung,
und eine halbe Stunde später liegt sie unter einem weißen Laken
und bekommt Salzlösung in die Venen geträufelt. Auf Jakobs Mobilbox
gesellen sich die Mutternachrichten zu den Sonjanachrichten, doch der
Presslufthammer unter Maries Fenster macht es möglich, dass Jakob
von alldem nichts mitbekommt.
So vergehen
die Hundstage, die Katzenhaare kleben an Jakobs Körper und auch die
Forschungsarbeit ruht. Als Jakob endlich sein Handy aus der Hosentasche
zieht und den Akku auflädt, kommt er mit dem Nachrichtenabhören
gar nicht mehr nach. Wo er sei, jammert die Mutter, die Großmutter
sei umgefallen, sie brauche jetzt seine Hilfe, wo er verdammt noch mal
stecke, kreischt Sonja. Aber man braucht schließlich auch ein wenig
Erholung, Zeit für sich. Als Jakob tags darauf mit ein paar Flaschen
Mineralwasser und zwei Liebesgeschichten in die Straßenbahn klettert,
hat Sonja Glück, diesmal hebt er ab.
Zwei Sitzreihen weiter vorne kaut ein dicker Fahrgast mit dem Namen Herbert
Sichozky an seiner Wurstsemmel und hört grinsend zu.
Lange hat man die Großmutter nicht im Krankenhaus behalten. Schon
sitzt sie wieder in ihrem Schaukelstuhl, trotz der Hitze eine Decke über
den Knien, und liest eines ihrer Konsalik-Heftchen.
"Kein Wunder, dass da dein Kreislauf nicht mitmacht", sagt Jakob.
Er stellt das Mineralwasser in die Vorratskammer, aber ja, es gehe ihm
gut, ja, auch die Doktorarbeit gedeihe, prächtig sogar, bald schon
würde er fertig sein. Die Welt will belogen werden und die Großmutter
erst recht.
"Und?", fragt die Großmutter, "Wie geht’s der
Sonja?"
Immer die gleichen Sätze, wie eine wärmende Decke im Hochsommer,
da kommt keine Luft dazu, Fäulnisgeruch breitet sich aus, aber lüften
kann man morgen auch noch, Geheimnisse lüften sich bekanntlich noch
schwerer als stickige Großmutterwohnungen, und das will was heißen.
Und wenn sie morgen stirbt, denkt Jakob, wozu soll ich sie belasten, soll
sie doch glauben, dass ich bald meinen Doktor hab und Sonja heirate. Also
lässt er sie zurück, mit zwei neuen Konsalik-Heftchen, sechs
Flaschen Mineralwasser und einem Traum vom Urenkel.
Beschwingt läuft er die Treppen hinunter.
Doch dann macht ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. Mit
rotem Filzstift kritzelt es in seinen Glücksgefühlen, sodass
er am Ende aussieht wie ein Schularbeitsheft. Oberleitungsschaden, heißt
es in der Durchsage, und noch denkt sich Jakob nichts dabei. Gemütlich
lehnt er sich zurück, jetzt ist wenigstens Platz in der Straßenbahn,
jetzt kann er ungestört lesen. Oberleitungsschaden, wie lange wird
das schon dauern, zehn Minuten vielleicht. Er sieht auf die Uhr. Er ist
früh dran, einen Polster von fünfzehn Minuten hat er locker,
also kramt er nach dem Penguin Classic Taschenbuch. Wenn Jakob Literatur
liest, dann immer alt und englisch. Nach sieben Seiten von Wells´
Time Machine wird er dann aber doch nervös. Noch immer steht der
Fahrer am Gehsteig, zwischen den Lippen eine Zigarette, um ihn herum eine
Traube gereizter Fahrgäste, und zuckt mit den Schultern. Da geht
so schnell nichts weiter. Besorgt sieht Jakob auf die Uhr. Klappt das
Buch zu und greift in die Hosentasche. Wo hat er bloß sein Handy?
In der linken Gesäßtasche ist es nicht, in der rechten auch
nicht, also den Rucksack aufschnüren, alles von unten nach oben wühlen,
doch vergeblich, das Handy ist weg. Scheiß Taschendiebe, Dreckspack
elendiges, jetzt haben sie ihm auch noch das Handy geklaut und mit ihm
Maries Nummer! Fluchend springt er auf und läuft die Alser Straße
hinunter. Warum ist er auch so lange sitzen geblieben, wieso ist er nicht
mit den anderen ausgestiegen, sieben Minuten nur mehr, das schafft er
nie! Jetzt bekommt er auch noch Seitenstechen. Vielleicht hätte er
mit Sonja joggen gehen sollen, so wie sie es sich immer gewünscht
hat, dann wäre er jetzt nicht so außer Atem, dann wäre
er fit und würde wie eine Gazelle die Alser Straße hinunter
sprinten, in fünf Minuten vom Währinger Gürtel zum Stephansplatz.
So aber benötigt er ganze dreiundzwanzig Minuten, und als er endlich
ankommt, sieht er nur eine Menge Touristen und ein Häufchen Hundescheiße.
Also läuft er weiter, die Straße hinunter, über die Brücke
zum Augarten, um den Augarten herum, in die Castellezgasse hinein. Läutet,
wartet, läutet. Doch Marie ist nicht zu Hause.
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