Auf
dem Weg ins Krankenhaus überlege ich, ob die Frau, die ich besuchen
will, noch meine Kusine ist; zu viel hat man schon aus ihrem Körper
herausgeschnitten. Sie füllt dann die Leerräume selbst mit Unmengen
von Tabletten aus. Ich entrümple von Zeit zu Zeit meinen Medikamentenschrank,
um die abgelaufenen Packungen wieder in die Apotheke zu bringen. Mit derlei
Gedanken beschäftigt, merke ich gar nicht, wie ich ins Krankenzimmer
meiner Kusine gekommen bin.
Sie hat mich schon gesehen und winkt mir. Eigentlich hat sie keinen Spitalsteint,
ihr Gesicht zeigt schon ein wenig Farbe, und das ist beruhigend. So ziehe
ich mir einen Sessel zu ihrem Bett, überreiche ihr die mitgebrachten
Blümchen, weil sich's so gehört, und frage, wie sie sich nun
fühlt.
Für die nächste Zeit habe ich nichts zu sagen, ich habe nur
aufmerksam ihren Ausführungen über die letzte Operation und
Einflechtungen über irgendeine vorherige zu lauschen. Als sie mir
dann versichert, sich zu freuen, daß ich stets nach ihr sehe, meine
ich so nebenbei: "Wenn du nicht von Zeit zu Zeit einen unbändigen
Drang verspürtest, unbedingt aus einem Spitalsfenster zu schauen,
würde ich am Ende die Jahreskarte der Verkehrsbetriebe nicht voll
ausnützen."
Als diese Worte laut im Raum standen, erschrak ich selbst darüber,
meine Kusine lachte jedoch und sagte aus tiefster Überzeugung: "Du
hast ja bei deiner Geburt nur die besten Gene von deinen Eltern geerbt!"
Ich dachte, bei meiner Geburt wären gute Feen, vielleicht auch eine
böse um meine Wiege gestanden. Dabei soll ich winziges Wesen schon
etwas geerbt haben! Bei dem Wort erben dachte ich immer nur an materielle
Werte, die mir die Eltern jedoch nicht hinterlassen hatten, und nun habe
ich doch etwas geerbt, eben Gene. Ich habe mich nie mit Genen beschäftigt,
obwohl ich in Zeitungen immer wieder Artikel über Genmanipulationen
gesehen habe. Ich habe also ein Erbe von meinen Eltern, und dies sogar
noch steuerfrei!
Was hat Mutter mir vererbt? Was hat Vater mir vererbt? Ich sehe doch weder
ihm noch ihr ähnlich. Als ich jedoch als Schülerin mit ihnen
das Grab von Vaters Eltern besucht hatte, war ein alter Mann auf mich
zugekommen und hatte laut gemeint: Du suchst das Grab der K, hast ja der
Lies ihre Haar, ach was, bist selber die kleine Liesl.
Ich habe diese Großmutter Lies nie kennen gelernt, und nun hat sie
mir auch etwas vererbt? Ihr kastanienrotes Haar, das mir seinerzeit manchmal
Ärger bereitet hatte. Sollte sie, nein, sollte ich so aussehen wie
sie?
Nachdem ich, außer einer abgerissenen Achillessehne wegen, kein
Krankenhaus je brauchte, muß ich wohl auch gegen Krankheiten widerstandsfähige
Gene geerbt haben. Wer weiß jedoch, von wem? Vater hatte eine einzige
Krankheit, und die hat er nicht überlebt. Vier Jahre fehlten meiner
Mutter, um ein Jahrhundert lang über diese Erde zu wandern. Eine
Krebsoperation mit 85 hat sie so nebenbei überstanden.
Von wem hat meine Kusine nur ihr Erbgut? Soweit ich weiß, verspürte
ihre Mutter niemals Lust aus Spitalsfenstern zu schauen. Als sie jedoch
schon über 8O Jahre zählte, bekam sie lediglich Angst, daß
sie sich am Abend gesund ins Bett legen und am Morgen tot sein könnte.
Ich versicherte ihr dann regelmäßig: "Tantchen, mir könnte
nichts Besseres passieren. Am Abend gehe ich quietschvergnügt schlafen
und am Morgen stelle ich fest - ich bin tot."
"Frecher Fratz, kannst nicht leugnen, daß du die Tochter meines
Bruders bist."
"Will es ja gar nicht."
Allerdings steigt eine Ahnung in mir auf: Hat Vater mich mit seinen Genen
manipuliert?
|