SILVIA PISTOTNIG

BEASS WEG VON MIR

 

Bea ist etwas größer als ich, dafür ist ihr Haar kürzer, sie ist immer toll angezogen. Bea geht gern aus, am liebsten tanzen, überall, wo was los ist, ist auch sie. Bea hat viele Freundinnen, doch ich bin ihre beste. Bea und ich, wir sind unzertrennlich.

Ich treffe sie fast jeden Tag und dann gehen wir einkaufen, ins Kino oder was trinken mit den anderen. Ich bin oft bei ihr und wir quatschen. Ich freue mich, wenn sie da ist. Sie sagt, sie mag alle sehr gern, aber ich bin ihre beste Freundin. Ich und Bea, wir sind unzertrennlich.

Bea arbeitet in einer großen Firma und sie mag ihren Job, sie ist bei ihren Kolleginnen und Kollegen beliebt. Bea ordnet Unterlagen, koordiniert Termine, organisiert Besprechungen und ist immer da, wenn sie gebraucht wird. Bea wird oft gebraucht.

Ich höre ihr gern zu, alle hören ihr gern zu, denn sie hat immer viel zu erzählen, ihre Stimme ist angenehm und ihre Geschichten spannend. Ich bin gern mit ihr zusammen, mit ihr ist es nie langweilig. Ich glaube ihr, wenn sie sagt, dass sie mich braucht.

Bea ist schockiert, es passiert so plötzlich und unvorhergesehen, sie ist verwirrt und kann nachts nicht mehr schlafen. Bea fragt warum, aber keiner antwortet ihr, weil niemand eine Antwort weiß, das ist eben freie Marktwirtschaft und man kann sie sich nicht mehr leisten. Bea will keinen neuen Beruf suchen.

Ich versuche sie aufzumuntern und sage ihr, dass sie sich woanders bewerben soll. Ich sammle Zeitungsinserate, rufe bei Unternehmen an und erkundige mich. Ich frage bei Freunden und Bekannten nach. Ich will für sie einen neuen Beruf suchen.

Bea ist oft so müde, viel zu müde. Bea fühlt sich matt und erschöpft, sie geht ungern außer Haus, sie will lieber allein sein, sie ruft mich drei Tage nicht an.

Ich schlage ihr vor auszugehen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Ich strenge mich an, aber nichts hilft, nichts holt sie aus ihrem Schneckenhaus, es ist mühsam. Ich rufe sie drei Tage nicht an.

Bea schaut viel fern, sie interessiert sich nicht mehr für Kino, nicht mehr für schicke Kleider, dafür hat sie kein Geld. Bea ruft mich nur selten an, ihre Stimme ist monoton. Bea sieht ihre Freunde kaum noch, sie sagt, alle reden nur von ihren tollen Jobs, ihren neuen Autos, keiner versteht sie, keiner interessiert sich für sie. Bea sagt, sie hat manchmal das Gefühl, die Welt hat sie im Stich gelassen.

Ich treffe sie kaum noch und hebe oft nicht ab, wenn ich ihre Nummer am Handy-Display sehe. Ich weiß nicht, was ich mit ihr reden soll, die Unterhaltungen mit ihr langweilen mich. Ich finde, sie ist so anders, sie interessiert sich für niemanden. Ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte sie im Stich gelassen.

Bea und ich treffen uns nicht mehr. Vielleicht ist Bea zu stolz oder zu feig, um sich bei mir zu melden, obwohl sie allein ist, sie gehört nirgends mehr dazu.

Ich treffe Bea nicht mehr. Ich denke hin und wieder an sie und habe ein schlechtes Gewissen. Vielleicht bin zu stolz oder zu feig, um mich bei ihr zu melden, doch ich bin treffe so viele Freundinnen, ich gehöre dazu.

Bea sitzt auf einer Parkbank. Bea sieht mich.
Ich sitze mit Freundinnen in der Wiese. Ich sehe Bea.

Bea dreht sich weg.
Ich drehe mich weg.